5: SAMMELHANDSCHRIFT

mit 3 deutschen Texten: k-ELegende des hl. Thomas von Aquink-A von Wilhelm von Tocco, k-ETranslatio corporis S. Thomaek-A und k-EVitas fratrum predicatorumk-A von Johannes Meyer. Deutsche Handschrift auf festen Büttenpapier. Dominikanerinnenkloster Maria Medingen (Mödingen), dat. 1523 oder 1528. Ca. 23 x 16,5 cm. Schriftspiegel: 14-16,5 x 10-13 cm. Mit mont. altkolor. Holzschnitt (6,5 x 4,5 cm), teils mit Vergoldung; Überschriften in Rot und vielen in Rot eingemalten Initialen; durchgehend rubriziert. Zus. 331 Bl. (davon 3 weiße). Neu aufgebunden. Etw. restaurierter Holzdeckelband mit breitem blindgepr. Schweinsldr.-Rücken mit intakter Schließe (Rücken mit Spuren der Entfernung eines Bibliotheksschildchens). (106)
Startpreis: 20.000,- €
Ergebnis: 20.000,- €


Komplette deutsche hagiografische Handschrift, durch Vermerke der Schwestern Apolonia Kastner und Elisabeth Sighart in das schwäbische Dominikanerinnenkloster Maria Medingen (Diözese Augsburg) zu lokalisieren, wo beide als Schreiberinnen nachgewiesen sind. Die Fertigstellung im Jahr 1523 oder 1528 ist durch das Explicit gesichert, in dem die Jahreszahl jedoch nicht eindeutig lesbar ist.

 

Am Beginn der Handschrift stehen die beiden Texte zu Thomas von Aquin (um 1225-1274), dem wohl bedeutendsten Dominikaner. An die Legende des heiligen Thomas von Aquin (fol. 1r-94v) schließt sich der Bericht über die Überführung seiner Gebeine nach Toulouse, die Translatio corporis S. Thomae, ebenfalls in deutscher Sprache, direkt an (fol. 94v unten – 106r oben). – Den zweiten, etwas umfangreicheren Teil der Handschrift nehmen die Vitas fratrum predicatorum in der deutschen Fassung des Johannes Meyer (fol. 108r-329v) ein. Der Text beginnt auf einer neuen Lage, deren erstes Blatt weiß blieb. Die Vorrede endet auf Folio 108v im oberen Drittel der Seite. Darunter steht ein sechszeiliger Kolophon, hervorgehoben durch Unterstreichungen und Zeilenfüller, mit der Angabe des Verfassers mit einer Datierung, gefolgt von der Nennung der Schreiberin mit einer weiteren Tagesdatierung: „Geben und volbracht von mir Bruder Johannes Maire Anno d(omi)ni 1481 jar An der nechsten mitwoch nach sant michels und von S(chwester) apolonia kastnerin abgeschriben an Sant veits tag.“ Es ist nicht ganz sicher, wie dieser Schlussvermerk zu interpretieren ist. Das erste Datum mit der Jahresangabe bezieht sich wohl auf die Abfassung des Textes des Vorwortes und wohl auch auf die Abfassung der hier überlieferten Textform der Vitas fratrum. Die Schreiberin Apolonia Kastner nennt neben ihrem Namen nur ein Tagesdatum und lässt uns so über die Zeit ihrer Schreibertätigkeit im Ungewissen. Dagegen gibt die Schreiberin Elisabeth Sighart im Kolophon am Ende der Vitas fratrum eine Jahreszahl an, deren Lesung allerdings durch einen Tintenfleck verunklärt ist: „Explicit hat ein end das buch vitae fratru(m) ordinis predicatoru(m) der bruder leben Anno d(omi)ni MVhundert und im XX[V]III jar bittent got für die schriber(in) Swester Elisabet sighartin“. Die Zehner- und die Einerstelle der römischen Ziffer XXIII (23) stehen in einem deutlichen Abstand voneinander, in dem einerseits schwach eine vielleicht radierte Ziffer erkennen zu sein scheint, der zum großen Teil aber von einem Tintenfleck verdeckt wird, der sich bis in die darunterliegende Zeile zieht. Möglicherweise ist an dieser Stelle also die Ziffer V zur ergänzen und die Jahreszahl wäre somit nicht als 1523 sondern als 1528 zu lesen. Die beiden letzten Blätter der Lage nach dem Ende des Textes der Vitas fratrum blieben unbeschrieben.

 

Als prominentester Schmuck der Handschrift findet sich neben dem Kolophon der Vorrede zu den Vitas fratrum und der anschließenden Überschrift des ersten Kapitels ein montierter Holzschnitt. Er zeigt den heiligen Dominikus mit Buch und Lilie als seinen Attributen, auf einem Rasensockel unter einem Baldachin mit Weinlaub stehend. Viel kleiner dargestellt ist zu seinen Füßen eine demütig im Gebet kniende Schwester. Der Nimbus des Heiligen und der schmale Rahmen sind mit Blattgold versehen (teils etwas abblätternd).

 

Der Codex besteht fast durchgehend aus Lagen mit sechs Doppelblättern, mit Ausnahme der dritten Lage mit nur fünf Doppelblättern. Die ersten Blätter der Lagen weisen jeweils eine Zählung von alter Hand auf, die teils jedoch aufgrund einer Beschneidung des Buchblockes nicht mehr vorhanden ist. Der Schriftspiegel, in der Größe etwas variierend, ist jeweils mit feinen Tintenlinien oder in Blei markiert. An der Herstellung der Handschrift waren wohl mehr als die beiden am Beginn und Ende der Vitas fratrum namentlich genannten Schreiberinnen beteiligt, doch bietet sich trotz der kleinen Unterschiede im Duktus der regelmäßigen Buchschrift und der Variationen in der Größe des Schriftspiegels und der Zeilenzahl ein insgesamt einheitliches Bild, nicht zuletzt aufgrund der vollständigen Rubrizierung. Textanfänge und Kapitelüberschriften sind in Rot geschrieben. Einige zeitgenössische Korrekturen an den Rändern zeugen von einer sorgfältigen Durchsicht der Texte.

 

Die größeren und kleineren Initialen sind in Rot eingemalt. Nur für die Initialen am Beginn der Hauptabschnitte ist zusätzlich zu Mennigrot eine weitere Farbe, ein helles Grün, verwendet. Die Initialen zur Vorrede und zum Beginn der Vitas fratrum sind mit kleinen Kreuzen geziert; an einer Stelle sind hier über dem hellen Grün Spuren einer Vergoldung zu erkennen. Öfter finden sich grafische Schmuckelemente. So ist am Fuß der ersten Seite in einem Schriftband, das sich um eine lang ausgezogene Unterlänge wie um einen Stab windet, in kleinen Buchstaben zu lesen „S(anctus) Tomas prediger“, gleichsam also das Thema des Textes angegeben. Eine breite, mit der Feder gezeichnete Bordüre füllt den freien Platz unter der Überschrift des ersten Buches der Vitas fratrum. Zeugnisse der Schmuckfreude häufen sich in diesem zweiten Teil. Mehrfach sind Unterlängen in der letzten Zeile bis in den Fußsteg gezogen, öfter in geschwungener Form und mit Pünktchen oder kurzen Strichen in Rot verziert, manchmal sogar mit kleinen Blüten. Ebenso begegnet hier öfter das Motiv des um einen Stab gewundenen Schriftbandes. Vermehrt finden sich außerdem Handhinweise, die wohl bereits von den Schreiberinnen oder Rubrikatorinnen eingezeichnet wurden.

 

Die Namen von beiden oder einer der beiden in unserem Codex genannten Schreiberinnen, Apolonia Kastner und Elisabeth Sighart, sind in einer kleinen Anzahl weiterer Handschriften nachzuweisen, die wohl in Maria Medingen (auch Kloster Mödingen) bei Dillingen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sind (Augsburg, UB, Cod. III. 2. 8° 58 und Cod. 111.1. 8° 43, Berlin, SBB-PK, mgf 1318 und mgo 566, Göttingen, 8° Cod. Ms. theol. 292 und München, BSB, Cgm 4373; für Hinweise hierzu danke ich Herrn Prof. Dr. Thomas Prügl, Herrn Prof. Dr. Werner Williams-Krapp, Herrn Priv.-Doz. Dr. Christian Seebald und Frau Dr. Antje Willing). – Das 1246 gegründete Dominikanerinnenkloster Maria Medingen wurde 1472 von Schwestern des Nürnberger Katharinenklosters reformiert. So ist auch noch unser etwa ein halbes Jahrhundert später entstandenes Manuskript im Zusammenhang mit der spätmittelalterlichen Reformbewegung der Observanz innerhalb des Dominikanerordens zu sehen, die sich im heutigen Südwestdeutschland ab dem späten 14. Jahrhundert zunehmend ausbreitete. Volkssprachliche Literatur sollte zur Bildung der Nonnen im Sinne der Reform beitragen. Auch die lateinische Vita des Thomas von Aquin, mit der Wilhelm von Tocco (um 1240 – um 1323) die Heiligsprechung dieses wichtigen dominikanischen Theologen propagiert hatte, wurde in das Deutsche übertragen. Noch deutlicher tritt der Aspekt der Bildung der Nonnen im Sinne der Reform bei den Vitas fratrum des Johannes Meyer (1423-1485) hervor. Er ist der Verfasser mehrerer Schriften, die der Durchsetzung der Reformbestrebungen dienten, insbesondere sein Buch der Ämter und das Buch der Ersetzung sowie das Buch der Reformacio Predigerordens. Mit seinen Vitas fratrum bezieht er sich auf ein dominikanisches hagiografisches Werk aus dem 13. Jahrhundert, als dessen Verfasser damals der Ordensmeister Humbert de Romans (um 1200 – um 1277) galt, das tatsächlich aber auf Gerhard von Frachet (1205-1271) zurückgeht und letztlich in der Tradition der spätantiken Vitas patrum steht.

 

Unser Manuskript gehört zu einer nur kleinen Gruppe spätmittelalterlicher Handschriften, in denen dieser Text überliefert ist (ausführlich dazu: Seebald 2014). Insgesamt waren bislang sieben Handschriften bekannt (davon jedoch drei heute verschollen). Darunter bietet nur der Codex Cgm 416 der Bayerischen Staatsbibliothek in München, der wohl in einem elsässischen Dominikanerkloster entstand und durch ein Explicit 1489 datiert ist, die gleichen Texte wie unser Manuskript. Allerdings stehen die Vitas fratrum hier am Beginn; sie setzen wegen des Verlustes der ersten Lage jedoch erst gegen Ende des vierten Kapitels der Vita des heiligen Jordanus ein. Daher ist hier die Vorrede nicht enthalten. – Die Handschrift in Berlin, SBB-PK, mgq 195, geschrieben im Dominikanerinnenkonvent St. Nikolaus in undis zu Straßburg, wendet sich im Prolog der Vitas fratrum an die dortige Priorin und Schwestern. In den Codices in Basel, Universitätsbibliothek, A XI 89, und Freiburg im Breisgau, Stadtarchiv, B 1 Nr. 202, die nach Seebald beide nach dem Berliner Codex kopiert wurden, ist die Anrede allgemein an die Schwestern des Dominikanerordens in deutschen Landen gerichtet und zudem deutlich gekürzt. Ähnlich heißt es am Beginn der Vorrede in unserer Handschrift: „Den andechtigen gaistlichen dirnen xpi allen schwestern p(re)diger Ordens der closter in dütschen Landen“. Doch steht der längere Text der Vorrede in dem Berliner Codex näher. Hinzu kommt am Ende die bereits zitierte Verfassernennung mit der Jahresangabe 1481 und einem Tagesdatum, das sonst nicht in Verbindung mit den Vitas fratrum überliefert ist.

 

Insgesamt erweist sich unsere umfangreiche vollständige Handschrift als Zeugnis einer späteren Phase der dominikanischen Observanzbewegung und zugleich als ein ambitioniertes Produkt eines erfahrenen Skriptoriums, das in seiner sorgfältigen Gestaltung und in der Hervorhebung des Beginns der Vitas fratrum durch den eingeklebten Holzschnitt über eine reine Gebrauchshandschrift hinausgeht. Diesem Eindruck eines repräsentativen Zweckes entspricht auch der wohl nur wenig später entstandene Einband. Der Holzdeckelband mit hellem breiten Schweinslederrücken ist mit einer Spruchbandrolle und Einzelstempeln geschmückt. Er kann einer süddeutschen Werkstatt zugewiesen werden. Bestimmbar sind in der Einbanddatenbank die Stempel „Fächerblattstrauß mit Krause als Bund“ (Zitiernummer s012935), „Laubwerk lappig/gelappt“ (Zitiernummer s022768) und Spruchband „mich beneigt“ (Zitiernummer r001407).

 

Provenienz: Laut auf dem Spiegel montierten Etikett befand sich der Band zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Besitz von Maximilian Joseph Pfeiffer (1875-1926), der 1912 als Bibliothekar an der Hof- und Staatsbibliothek in München gewirkt hatte und von 1921-1926 deutscher Gesandter in Wien war.

 

Literatur: Christian Seebald, Ein Basler Codex mit Schriften des Johannes Meyer. Zugleich ein Beitrag zur Überlieferungs- und Textgeschichte der ‚Vitas fratrum‘, der ‚Papst-´ und der ‚Kaiserchronik‘, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Bd. 143, 2014, S. 202-219.

 

Zustand: Block wohl im Zuge der Neuheftung tls. neu beschnitten, Innengelenke verstärkt, der vordere Spiegel durch den angebrochenen Deckel etw. beschäd., der hintere mit flächiger Wurmspur, wenige Bl. im Fußsteg mit kleiner Fehlstelle, einzelne Marginalien etw. angeschnitten, erste Seite mit Leimspuren, sonst nur vereinzelt etw. fleckig, die beiden weißen Bl. am Ende mit kleinen Wurmlöchlein. – Siehe Abbildung.

 

Manuscript collection in one volume, with 3 German texts: Legend of St. Thomas Aquinas by Wilhelm von Tocco, Translatio corporis S. Thomae and Vitas fratrum predicatorum by Johannes Meyer. German manuscript on firm laid paper. Dominican convent of Maria Medingen (Mödingen), dated 1523 or 1528. With mounted, coloured and gilt woodcut, headings in red and many red initials; rubricated throughout. Newly bound.

 

At the beginning of the manuscript are the two texts on Thomas Aquinas (c. 1225-1274), probably the most important Dominican. The legend of St. Thomas Aquinas (fol. 1r-94v) is followed by the account of the transfer of his bones to Toulouse, the Translatio corporis S. Thomae, also in German, directly follows (fol. 94v bottom – 106r top). – The second, somewhat more extensive part of the manuscript is taken up by the Vitas fratrum predicatorum in the German version by Johannes Meyer (fols. 108r-329v). The preface ends on Folio 108v in the upper third of the page. Below there is a six-line colophon, emphasized by underlining and line fillers, with an indication of the author with a date, followed by the name of the scribe with a further date. Besides her name, the scribe Apolonia Kastner only mentions a day and thus leaves us in the dark about the time of her scribal activity. In contrast, the scribe Elisabeth Sighart gives a year in the colophon, the reading of which is obscured by an ink stain. – The most prominent decoration of the manuscript is a mounted woodcut, next to the colophon of the preface to the Vitas fratrum and the subsequent heading of the first chapter. It shows St. Dominic with a book and a lily as his attributes, standing on a grassy pedestal under a canopy with vine leaves. Much smaller depicted at his feet is a sister kneeling humbly in prayer. The saint’s nimbus and the narrow frame are decorated with gold leaf (some of which is flaking off). – The production of the manuscript probably involved more than the two scribes named at the beginning and end of the Vitas fratrum. But despite the small differences in the style of the regular script, the variations in the size of the type area and the number of lines, the overall picture is uniform, not least because of the complete rubrication. – Text beginnings and chapter headings are written in red. Some contemporary corrections in the margins testify to a careful review of the texts. The larger and smaller initials are painted in red. Only for the initials at the beginning of the main sections, another color, a light green, is used. The initials for the preface and the beginning of the Vitas fratrum are decorated with small crosses, and in one place traces of gilding can be seen over the light green. Graphic decorative elements can often be found.

 

The names of both or one of the two scribes mentioned in our codex, Apolonia Kastner and Elisabeth Sighart, can be found in a small number of other manuscripts which probably originated in Maria Medingen (also Mödingen Abbey) near Dillingen (I would like to thank Prof. Dr. Thomas Prügl, Prof. Dr. Werner Williams-Krapp as well as Priv.-Doz. Dr. Christian Seebald and Dr. Antje Willing for their advice). – Founded in 1246, the Dominican convent of Maria Medingen was reformed in 1472 by sisters from the Nuremberg Katharinenkloster. Our manuscript, which was written around half a century later, can still be seen in the context of the late medieval reform movement of observance within the Dominican order, which increasingly spread in south-west Germany from the late 14th century on. Literature in the vernacular was intended to contribute to the education of the nuns in the spirit of the reform.

 

Our manuscript belongs to only a small group of late medieval manuscripts in which this text has survived (for more details see: Seebald 2014). A total of seven manuscripts is known (three of which are now lost). Overall, our extensive complete manuscript proves to be a testimony to a later phase of the Dominican Observance movement and at the same time as an ambitious product of an experienced scriptorium, which in its careful design and in the way the beginning of the Vitas fratrum is emphasized by the pasted woodcut goes beyond a purely utilitarian manuscript. This impression of a representative purpose is also reflected in the binding, which was probably created only a little later. The volume with a wide, light-colored pigskin spine is decorated with a scroll and individual stamps. It can be attributed to a southern German workshop. In the binding database, the stamps „Fächerblattstrauß mit Krause” (citation number s012935), „Laubwerk lappig/gelappt“ (citation number s022768) and the banner „mich beneigt“ (citation number r001407) can be found.

 

Provenance: According to the label mounted on the paste down, the volume was owned by Maximilian Joseph Pfeiffer (1875-1926) at the beginning of the 20th century, who worked as a librarian at the Court and State Library in Munich in 1912 and was German envoy in Vienna from 1921-1926.

 

Condition: Block probably trimmed in the course of rebinding, inner joints reinforced, the front fly-leaf somewhat damaged due to a broken cover, the back fly-leaf with wormhole, a few leaves at foot joint with small missing part, some marginalia slightly trimmed, first page with glue stain, otherwise only sporadically stained, the two blanks at the end with small wormholes. – See illustration.