729: Handschriften – Händel – Raccolta d’alcune Cantate per Camera

(Deckeltitel). Italienisches Musikmanuskript auf starkem Bütten. Zusammengestellt wohl auf Sizilien, spätes 18. Jhdt. (das Werk zu Anfang mit Datum: Trapani, 2. 2. 1792, die anderen bis in das späte 17. Jhdt. zurückreichend). Qu.-4°. Zus. 42 nn. Bl. (12, 8, 18, 4). -
Startpreis: 2.400,- €
Ergebnis: 2.600,- €


Schlichte flex. Pp.-Brosch. d. Zt. mit hs. Deckeltitel (etw. läd., Vorderdeckel mit Ausriss, Rücken mit Fehlstellen, wasserrandig). – Diese Sammlung durchgehend unbekannter italienischer Vokalmusik des Spätbarock in der Besetzung hohe Solostimme und Continuo, mit geistlicher wie weltlicher Bestimmung, ist musikhistorisch höchst interessant. Enthält sie doch einen „missing link“ der Einflüsse Italiens auf die erste italienische Oper Georg Friedrich Händels. Sein nur in Teilen erhaltener und heute rekonstruierter „Rodrigo“ (HWV 5), der erst später diesen Titel erhielt, war 1707 als „Vincer se stesso è la maggior vittoria“ entstanden. Sieben Jahre zuvor hatte dieses Libretto unter dem Titel „Il duello d’amore e di vendetta“ bereits der Venezianer Marc’Antonio Ziani (um 1653-1715) für die Karnevalsaison 1699/1700 vertont. Seine Musik wird Händel sicherlich bekannt gewesen sein, als er die Oper mit gewissen Textänderungen neu vertonte. Insofern ist das Werk Zianis, das bis auf die Ouvertüre bislang als verschollen galt, von erheblicher Bedeutung für die Händel-Forschung. Unser Manuskript enthält immerhin einige der Arien, und, wie wir im Vergleich mit Autografen Zianis folgern können, diese sogar in dessen eigener Handschrift. Zwar ist der entsprechende dritte Part unseres Bandes im Umfang von 18 Blättern weder betitelt noch trägt er den Namen des Komponisten, doch konnte die Musik aufgrund des Gesangstextes unschwer identifiziert werden. Enthalten sind folgende Arien (alle für Sopranstimme, auch der „Rodrigo“, eine Kastratenrolle): „Fredde ceneri d’amor“ (2. Akt, Florinda); „Occhi neri“ (1. Akt, Beginn, Rodrigo); „Ti lascio a la pena“ (1. Akt, Rodrigo); „Vanne in campo“ (1. Akt, Rodrigo); „Egli è tuo, né mi riserbo“ (2. Akt, Esilena); „Così m’alletti“ (3. Akt, Florinda, „Se cosi m’aletti“ lautet hier der Text der Fassung von 1700); „Pugneran con noi le stelle“ (1. Akt, Florinda); „Sposa diletta, io parto“ (3. Akt, Rodrigo); „In mano al mio sposo“ (1. Akt, Esilena); „Begl’occhi del mio ben“ (3. Akt, Florinda); „Siete assai superbe, o stelle“ (2. Akt, Rodrigo) und „Parto, crudel, sì parto“ (2. Akt, Esilena). Nicht von Händel vertont wurden die Arien der Florinda „Ti stringerò al mio petto“ und jene der Climene, Schwester des Rodrigo, eine Rolle, die das Libretto von 1707 nicht mehr vorsah: „Pace grida la vittoria“ und „In voi splende, o luci belle“. – Weitere Arien stammen wohl nicht aus diesem Zusammenhang, sondern aus anderen Werken Zianis, darunter „Se parla lo sdegno“, „Bella fiamma d’amor“, „Tu mi lusinghi dolce speranza“, „Frena le belle lagrime“, „No stancarmi nel bacciarvi“, „Disarma se tu il puoi la parca sua crudel“, „Da nostro f(u)oco o lucide“, „Lieta corre la navicella“ und „Già la face alza la gloria“; die Arie „A la face di Megera“ ist aus der Oper „Il più fedel tra Vassalli“ von 1703. Den Anfang des Manuskripts macht eine „Cantata a Voce solo di Canto per la Beatis(si)ma Vergine di Trapani posta in musica di J. P. C. A due Febraro 1792“. Hier handelt es sich um eine mehrteilige Kantate zum Fest Mariae Lichtmess für die hoch verehrte Madonna di Trapani, deren Statue sich dort in der Santissima Annunziata befindet. Die 12 Blätter enthalten immerhin 22 Seiten mit Musiknoten. Nicht einmal der Text „Mortal che pensi, mortal che badi più…“ ist nachweisbar, der Verfasser wird links unten auf dem Titel monogrammiert genannt, „M. Z. P.“, wohl ein Geistlicher, der aus Carini bei Palermo stammte. Der Komponist mit den Initialen J. P. C. ist für uns nicht ermittelbar, seine Tonsprache entspricht dem späten Settecento.Die Kompositionen auf den folgenden Lagen, ab fol. 13r, sind von anderer Hand abgefasst. Der Titel lautet hier „Raccolta d’alcune Compositioni per Camera di Fran(ces)co Silani“ und steht am Kopf einer Kantate „Dimmi Amor, che vuoi da me“. Über Giovanni Francesco Silani weiß man kaum etwas; er war Organist in S. Maria Maggiore in Bergamo und in den 1740er Jahren u. a. Lehrer von Quirino Gasparini. Eine Publikation mit den Texten dreier Hochzeitskantaten, anlässlich einer Vermählung im Hause Coleoni, ist 1736 in Bergamo erschienen. Die Musik stammte von Silani, ist aber nicht nachweisbar. Im CLORI (Archivo della Cantata italiana) ist nichts über ihn zu finden, ebenso über MGG online, RISM verzeichnet nur seinen Namen. Wahrscheinlich haben wir hier also die bisher einzigen von Silani überlieferten Noten vorliegen. Es handelt sich um folgende weltliche „Cantate per Camera“: „Dimmi Amor che vuoi da me“ (5 Seiten) und die Canzonetta „Vieni, vieni ò di Gramato“ (eine alte Ortsbezeichnung?; 6 Seiten). Darauf folgt, ebenso unbekannt, eine Canzonetta von einem Signore Mozzi, gemeint wohl Giuseppe Mozzi, der einer Sängerfamilie angehörte und gegen 1700 im Dienste der Herzöge von Mantua stand: „M’hai ridotto il cor in cenere“ (5 Seiten Notentext). RISM verzeichnet vier Kantaten in derselben Besetzung wie unsere. – Am Ende, auf etwas kleinerem Papier, möglicherweise wieder ein Autograf, in diesem Fall des Komponisten Antonio Sartorio (um 1630 – 1680), für den sich Vertonungen dieser Stücke nachweisen lassen, darunter „Non si da maggior contento“, „Bella, se tu mi togli“, „Giuro sul dardo“, „Se disse d’amarti“ und „Per farmi piangere“, alle aus der Oper: „Ercole su’l Termodonte“, Venedig 1678. Diese hat Antonio Vivaldi später mit etwas verändertem Text erneut vertont.