724: HANDSCHRIFTEN – CORELLI – "BALLETTI PER CAMERA

à solo Violino del Sig(no)re Archangelo Corelli Opera Quinta." Italienische Musikhandschrift auf Bütten (Stimmheft "Violino"). Italien, um 1700? Qu.-4º. 9 num. Bl. Brosch. d. Zt. aus Kupferdruckpapier mit Teilen eines spätbarocken italienischen Kupferstichs (hs. Deckeltitel der Zt., Ecken etw. geknickt, fleckig und leicht gebräunt). (118)
Startpreis: 800 - 1.200,- €


Arcangelo Corellis im Jahr 1700 veröffentlichte 12 Violinsonaten Opus 5 („Sonate a violino e violone o cimbalo“), ein bedeutendes Werk, nicht nur der Violinliteratur, aufgrund seiner Popularität vielfach arrangiert für andere Instrumente. – Die Sammlung setzt sich, was neuartig war, aus zwei Teilen zusammen, der erste enthält sechs „Sonate da chiesa“, der zweite sechs „Sonate da camera“. Unsere Handschrift enthält nur die Sonaten des zweiten Teils. Diese sind hier aber nicht als Sonaten bezeichnet, sondern als „Balletti per Camera“ auf dem Titel, im Notentext aber als „Preludio“ („primo“ bis „quinto“), die letzte Sonate, die bekannte „Follia“, führt nur diesen Titel. Merkwürdig dazu die Angabe „à solo Violino“, nicht nur wegen der Wortstellung, die später so kaum noch üblich ist, sondern auch, weil der begleitende Bass im Titel unterschlagen wird. Weitere Eigenarten sind die Schreibung „Addaggio“, die im musikalischen Spätbarock nur äußerst selten anzutreffen ist, bei Corelli vereinzelt aber nachgewiesen werden kann, und eine geradezu treibende Anweisung für den Violinspieler „segue subito, subito-“ in der „Follia“.

All das reicht uns nicht aus, hierin das tatsächlich erste jemals entdeckte Musikmanuskript von Corellis Hand zu erkennen, doch dürften wir uns hier sehr nahe an der Entstehung der Sonaten befinden, vielleicht noch zu einer Zeit vor dem Erstdruck im Jahre 1700. Zwar stimmt der Notentext des Drucks mit unserer Handschrift überein, nicht aber die Betitelungen und Spielanweisungen (hier steht natürlich „Adagio“). Gewisse Analogien der Schrift mit bekannten Briefen Corellis wären noch eingehender zu diskutieren als es hier möglich ist (vgl. H. Hell, Es existiert kein Musikautograph von Arcangelo Corelli, in: Archiv für Musikwissenschaft, 66, H. IV, 2009, S. 261-271). Denkbar wäre aber eine Abschrift nach einem Corelli-Autograf.

Gebunden wurde das Manuskript in das extrem breitrandige Druckpapier eines Kupferstichs (nur die obere Hälfte vorhanden), wohl ein Fehldruck, der ohne weiteres in die Zeit um 1700 passt, und bei dem es sich wohl um das Werbeblatt eines Giovanni, Inhaber einer Fabrica di se(ta) et (oro), also eines Herstellers von Seiden – und Goldgeweben handelte. Das Wasserzeichen der Handschrift sind die bekannten drei Halbmonde des Exportpapiers für den Orient, hier mit einem Bezeichen (Stab mit Buchstaben). Dieses wurde schon im 17., in weiterer Verbreitung dann im 18. Jahrhundert verwendet. – Zur Ablösung der Bezeichnung „Balletto“ durch „Sonata“, die am Ende des 17. Jahrhunderts, gerade auch bei Corelli stattfand, siehe P. Allsop, Da camera e da ballo – alla francese et all’italiana. Functional and National Distinctions in Corelli’s sonate da camera, in: Early Music, Bd. 26, Nr. 1 (1998), S. 87-96, und F. Scaramuzzino, Musica da camera o da ballo, 2012, eine Studie anhand von Opus 3 des Bolognesers Giovanni Battista Vitali (1632-1692), der auch Corelli stark beeinflusst hat. – Stellenw. etw. gebräunt und fleckig.