725: HANDSCHRIFTEN – CROCE –

"Odnaugli los 'len iro Etnoz..." (rückwärts zu lesen: "Quando il sol nel orizonte..." Italienische Notenhandschrift in verschied. Tinten auf Bütten. Skizzenbuch mit dem Namenszug "Marcantonio Croce" auf dem Titel. Nicht dat., wohl Norditalien (Modena oder Bologna?), um 1625/30. Qu.-8º (10,7 x 21 cm). 49 nn. Bl. Je 6 fünflinige Notenzln., von Hand gezogen und an den Seiten regliert. Flex. Pgt. d. Zt. (fleckig, berieben und bestoßen). (118)
Startpreis: 900,- €
Ergebnis: 600,- €


Ein höchst interessantes wie rätselhaftes Notenbüchlein, dessen erster Besitzer im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts die meisten der Einträge gemacht hat. Problematisch ist schon die Entzifferung des Titels, der Wort für Wort, allerdings mit irregulären Silbenverbindungen, von hinten gelesen werden muss, um dann sinngemäß auf Italienisch zu ergeben: „Wenn die Sonne am Horizont (untergeht), bleibt der Liebe allerorts der Sieg“. Diese Entschlüsselung versagt jedoch bei einem fünfzeiligen Gedicht darunter, dessen Buchstaben und Wörter nach einem anderen System geordnet sind. Darüber steht in hellerer Tinte, wie sie auch in vielen Partien der Handschrift verwendet wurde, der Name „Marcantonio Croce“. Da es sich hier kaum um den gleichnamigen Bischof von Tivoli aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts handeln dürfte, ist dieser wahrscheinlich als der Minoritenbruder Antonio Croci, ein Musiker, geboren in Modena, zu identifizieren. Dieser wurde 1633 Organist von S. Francesco in Bologna und 1642 „maestro dei novizi e di cappella“ des dortigen Doms. Allerdings scheint es sich um ein heimlich geführtes Skizzenbuch zu handeln (daher wohl die Verschlüsselung im Titel, dem der Autor seinen Namen dann erst später hinzugefügt hat), da es ausschließlich Gesänge mit weltlichen Texten, die meisten Liebeslieder, enthält. Darunter finden sich auch Stücke von Kollegen, etwa Giovanni Giacomo Arigoni (1597-1675), der als Einziger namentlich genannt wird. Der Text „Se per l’oro d’un crine“ ist bekannt aus einer Kantate von Alessandro Grandi, 1626 in Venedig veröffentlicht. Ob hier nur die Worte übereinstimmen oder auch die Musik, bleibt zu überprüfen. Alessandro Grandi könnte wiederum ein Schüler des Giovanni Croce gewesen sein, der sicherlich ein Verwandter Antonios gewesen ist. Den Text eines anderen Vokalstücks, „Ah Clori“, kennt man aus einer Vertonung von Antonio Rigatti (Madrigal, Venedig, 1636). Diese wenigen von uns herausgegriffenen Beispiele zeigen, daß Croce (oder Croci) mit der Gattung Liebeslied gut vertraut war. Croce hat auch ein musiktheoretisches Werk, „Geminato compendio“ (Venedig 1642) verfasst.

Aus dem beginnenden oder mittleren 18. Jahrhundert dürften die Beiträge eines späteren Besitzers stammen, teils in dicker schwarzer Schrift, teils in sehr flüchtigen Notenskizzen. Darunter eine „Spagnoletta“, Tanzstücke, auch schon Menuette, und ein kleines Stück, „Ponte rotto“ betitelt, (gemeint wohl die antike Brücke in Rom) auf eine Kinderlied-Melodie.

Das Notenbuch wurde von vorne und von hinten her beschrieben, wobei der hintere Teil nur 12 Blätter umfasst. Es war sicherlich von Anfang an einheitlich liniert. Zwischen den beiden Teilen wurden ca. 10 Blätter entfernt, die eventuell leer geblieben waren. Das Bütten weist ein Wasserzeichen auf, einen Kreis mit stehender Engelsfigur, darüber ein Dreiblatt, und ein Gegenzeichen, so nicht exakt nachweisbar. Am nächsten kommt die Nr. AT3800-PO-21415 (WZ-Informationssystem, Slg. Piccard, Trient, um 1590). – Höchst interessante Handschrift aus dieser Umbruchszeit in der oberitalienischen Vokalmusik. – Tinte vereinzelt verwischt, leicht fleckig und gebräunt.