723: HANDSCHRIFTEN – BOISMORTIER –

"Sonates En Trio pour Deux flûtes Traversières, avec la Basse. Par Mr. Boismortier. Oeuvre Douzième." (Deckeltitel). Wohl Paris, um 1725/30. Qu.-4º (20 x 28,3 cm). 2 Stimmhefte: "Premier Dessus" (et) "Basse". 27; 25 S. (letzte leer – ohne die zweite Flötenstimme). Bronzefirnispapierbroschur d. frühen 18. Jhdts. in der Art des J. F. Leopold, Augsburg (mit Deckelschildern, Rücken brüchig, etw. berieben). (118)
Startpreis: 600,- €
Ergebnis: 400,- €


Das wohl gegen 1724/25 entstandene Op. 12, die sechs „Sonates en trio“ für zwei Flöten und Generalbass von Joseph Bodin de Boismortier (1689-1755), liegen hier in einer sehr frühen Handschrift vor, die vielleicht sogar vor dem Pariser Erstdruck von 1726 (RISM A/I B 3364) entstanden ist. Das Datum einer Notiz auf dem Vorsatz, Oktober 1737, ließe vielleicht an eine baldige Abschrift des Drucks denken, doch zeigen diverse Abweichnungen in den Bezeichnungen bzw. Spielanweisungen, dass hier nicht einfach abgeschrieben wurde, zumal die Flötenstimme im Druck zwar auch einen Violinschlüssel aufweist, dieser aber die Note g auf der untersten statt auf der auch schon in dieser Zeit üblichen zweiten Zeile von unten angibt. In der Handschrift wurde der Schlüssel versetzt und der Notentext fehlerlos übertragen. Merkürdig ist insbesondere am Ende des dritten Satzes der ersten Sonate, ein Rondo, die Angabe „Aurondaux“ (sic!) statt des „da capo“ im Druck. Dazu kommt die aufwendige Broschur aus „Augsburger Papier“, die nicht auf eine gewöhnliche Gebrauchsabschrift hindeutet. Diese Indizien lassen auf eine Abschrift aus dem nicht erhaltenen Manuskript Boismortiers schließen, was wiederum auf eine Datierung vor dem Druck und den Ort der Entstehung des Werks, Paris, wo sich Boismortier seit 1724 aufhielt, hindeutet. Diese Vermutung wird untermauert durch ein drittes beiliegendes Heft mit der Datierung 1724 (siehe unten). – Erstes Blatt der Bass-Stimme lose; leicht gebräunt und fleckig.

Beiliegt eine weitere Handschrift, gebunden in ziegelrotes „Augsburger Papier“ mit Goldranken; der Titel auf dem Deckelschild lautet hier: „Sonates pour Deux Flutes Traversièr(es) par. M. Boismortier. Premier Dessus“. Diese Handschrift enthält sechs Sonaten, die wir nicht bestimmen konnten, vielleicht sogar unveröffentlichte Werke Boismortiers.

Alle drei Hefte stammen aus dem Besitz eines trinkfreudigen Engländers, der auf den Vorsätzen notiert hat, wie viel er für mehr oder weniger Hochprozentiges wie Brandy, Gin, Ale und Wein, Zutaten (für Drinks) wie Zitronen, Melonen und Zucker, ferner auch Kaffee und Tabak und Bedienstete ausgegeben hat; die Abrechnung datiert in die Sommermonate des Jahres 1724, zuletzt mit der Ortsangabe „Glocester“ (Gloucester), September 1724. – Das Musikleben an der Kathedrale von Gloucester war im frühen 18. Jahrhundert bedeutend, hier wirkte William Hine als Kantor, und der 1708 in Gloucester geborene William Hayes erhielt hier seine Ausbildung, bevor eine Karriere begann, die ihn bis zur Musikprofessur in Oxford führte. Neben den Getränkeausgaben finden sich auf den Vorsätzen dieses Hefts zwei Gedichtentwürfe, vielleicht zur Vertonung gedacht, von denen der eine so beginnt: „Hark how the trumpet sounds to arms / Adieu my toys“, wohl in Abwandlung eines Arientextes aus der Kantate „The Soldier in Love“ von Johann Christoph Pepusch (1667-1752).