Sehr frühe Abschrift dieser Motette von Giacomo Carissimi (1605-1674), dem "Erfinder" des Oratoriums, der die Klangsprache der Musik des römischen Barock entscheidend weiterentwickelt und geprägt hat.
Die Motette "Sicut mater consolatur filios suos" für zwei Soprane und Basso continuo wurde zwar zuerst 1670 in der in Konstanz erschienenen Sammlung "Arion RomanusBib" (Nr. IX) gedruckt. Die Frage ist jedoch immer, ob die frühe handschriftliche Überlieferung nur auf den Arion Romanus (RISM A/I, C 1221, abgekürzt AR) zurückgeht, oder ob ihr vielleicht andere Quellen zugrunde liegen.
Dies hat der Musikhistoriker und Carissimi-Experte Andrew V. Jones gründlich untersucht und kommt für diese Mottette zu dem Schluss: "The two principal manuscript sources for ‚Sicut mater consolatur filios suo‘ (No. 9) are F Pc: Res. Vmb. ms. 6, in the hand of Andre Philidor (1647-1730) and dated 1688, and GB Och 55, in Aldrich’s [Henry Aldrich (1647-1710)] hand. The other manuscript versions extant in English libraries are derived from Aldrich’s transcription. A study of the variant readings in AR and in the Philidor and Aldrich transcriptions suggests that Philidor was working from AR, and Aldrich from Philidor’s copy or a relate source. These conclusions are based on the following pattern of filiation: while three sources are broadly similar, there are small but significant differences between the AR and the Philidor versions; at each of these points the Philidor reading found also in the Aldrich version; and Aldrich adds one or two alterations of his own. At none of the places where Philidor makes a change of substance does Aldrich ‚revert‘ to the AR version. For this motet AR is the earliest extant source; none of the later sources provides an independent attribution, so it is on AR that the motet’s authenticity depends" (A. V. Jones, Carissimi’s ‚Arion Romanus‘: A Source Study. In: Music & Letters, Bd. 69, No. 2, 1988, S. 151-210).
Ob das allerdings für unser Manuskript ebenfalls gilt, wäre von der Musikwissenschaft noch zu prüfen. Wahrscheinlich ist eher, dass es sich hier um ein davon unabhängiges italienisches Manuskript handelt, das direkt auf Carissmis Autograf zurückverweist. Das recht feste Bütten mit dem Wasserzeichen einer Lilie (fleur de lis) im Doppelkreis (evtl. Beizeichen darüber) spricht eindeutig dafür. Wasserzeichen dieser Art sind bei Briquet und vor allem Piccard nachgewiesen, für gewöhnlich von italienischer Provenienz, viele davon aus Rom, und werden ins späte 16. Jahrhundert datiert (vgl. etwa Piccard 128676, Rom 1566). Unser Wasserzeichen ist sicherlich später, und auch die Niederschrift dürfte auf älterem Papier erfolgt sein, allerdings ist das Manuskript sicher noch im 17. Jahrhundert in Italien entstanden.
Da von Carissimi bisher weder Autografen nachgewiesen wurden und die bekannten Abschriften des späten 17. Jahrhunderts aus England stammen, könnte es sich hier um ein Manuskript noch vor der Drucklegung des Werks im AR handeln oder zumindest unabhängig von diesem entstanden sein, vielleicht sogar die früheste Abschrift dieses Werks überhaupt. Nach dem Schreibduktus handelt es sich sicher nicht um ein Autograf sondern um die Arbeit eines geübten italienischen, vielleicht sogar römischen Kopisten; durchaus zu Lebzeiten des Komponisten denkbar. – Stärker fleckig und gebräunt (besonders die Titelseite).