60: ALBUM AMICORUM – FREUNDSCHAFTSALBUM DES THEOLOGEN GEORG DAVID MÜLHEUSER.

Mit ca. 120 Einträgen aus Basel, Genf, Lausanne, Straßburg, Zürich und anderen Orten. Dat. 1622-34. Qu.-12º (10,5 x 16 cm). Mit 2 ganzseit. Miniaturen und 6 goldgehöhten Wappenminiaturen. 113 nn. Bl. (und zahlr. weiße). Ldr. d. Zt. mit reicher Deckel – und Rückenvg. im späten Fanfarenstil (Schließbänder fehlen, Rücken und Kanten restauriert, berieben und bestoßen) in mod. Holz-Kassette. (192)
Schätzpreis: 12.000,- €


In der Zeit seines Theologiestudiums und während anschließender Reisen geführtes Album amicorum des Georg David Mülheuser, der aus der Pfalz stammte. Sein Reiseweg ist anhand der Einträge gut nachzuvollziehen: 1622 befand er sich in Straßburg, im Folgejahr reiste er nach Zürich, Bern, Genf und Lausanne und kehrte 1624 wieder nach Straßburg zurück. 1625-30 weilte Mülheuser überwiegend in Basel, 1633 in Genf. Die letzten Einträge stammen aus Basel und datieren in den April 1634. Dann verliert sich die Spur Mülheusers; obgleich er mit zahlreichen Gelehrten seiner Zeit in Kontakt stand oder sogar befreundet war, sind von ihm selbst keine Publikationen bekannt geworden. In einer Chronik der Stadt wird Mülheuser als Stiftsschaffner (Verwalter in einem adeligen Stift) zu Neustadt an der Haardt im Jahr 1652 erwähnt. Er ist also in die Pfalz zurückgekehrt, vielleicht an den Ort seiner Herkunft.

Der herausragendste Beitrag in diesem an bedeutenden Einträgern außergewöhnlich reichen Freundschaftsalbum stammt von dem Satiriker und Dichter Johann Michael Moscherosch (1601-1669). Seine Aufsätze, Gedichte und Erzählungen in lateinischer und deutscher Sprache veröffentlichte Moscherosch gewöhnlich unter dem Pseudonym "Philander von Sittewald". Der vorliegende Beitrag ist dagegen unter seinem realen Namen erfolgt, mit Angabe seines Geburtsorts Willstätt, datiert Straßburg 1624. Sein langer Eintrag enthält mehrere lateinische und deutsche Sinnsprüche, darunter: "Wo kein Creütz ist, da ist kein Christ / daß Creütz der Christen Zeichen ist", und ein achtzeiliges lateinisches Freundschaftsgedicht: Initae non ita pridem / At nec intermoriturae deinceps / unquam amicitiae testem si desideras! adest / Amica manus amicissimo, / Amicissima mens / Amico tibi, / Amicissime mi amice / G. D. Mülheüsere, Palatine.

Unter den vielen Gelehrten, die dieses Stammbuch bereichert haben, finden sich erstaunlich viele prominente Persönlichkeiten ihrer Zeit und der jeweiligen Disziplinen, neben Theologen vor allem Humanisten und neulateinische Schriftsteller, aber auch Mediziner und Juristen. Hier seien in Auswahl erwähnt:

Wilhelm Fabry (von Hilden; 1560-1634), Stadtarzt in Bern und Verfasser zahlreicher Werke, der als der größte deutsche Wundarzt seiner Zeit gilt und die wissenschaftliche Chirurgie begründete, mit Eintrag des Wahlspruchs:Vivit sine medico, sed non sine medicina / qui temperatam vivit vitam (Eintrag Bern 1623), dazu an anderer Stelle der Eintrag seines Sohnes Peter Fabricius, "Hildani filius". Der Dichter Julius Wilhelm Zincgref (1591-1635) hat sich 1623 mit einem lateinischen Widmungsgedicht in neun Versen eingetragen. Der neulateinische Poet und Schullehrer Samuel Gloner (1598-1642), Straßburg 1627, mit einem sechszeiligen lateinischen Widmungsgedicht. Balthasar Venator (Jäger; 1594-1664), Späthumanist, neulateinischer Dichter und Satiriker, mit einem Eintrag Straßburg 1624. Der späthumanistische Gelehrte Georg Michael Lingelsheim (um 1557-1636) mit dem Eintrag während des Straßburger Exils 1624. Der Jurist Jacques Godefroy (Iacobus Gothofredus; 1587-1652), Herausgeber des Codex Theodosianus und seinerzeit Professor an der Genfer Akademie (Eintrag Genf 1622). Theodor Zwinger der Jüngere (1597-1654 ebenda), reformierter Pfarrer und Theologieprofessor in Basel sowie Verfasser einiger bedeutender theologischer Abhandlungen über die calvinistische Lehre, insbesondere zum Abendmahlsstreit, Basel 1634. Der Genfer Theologieprofessor und Orientalist Théodore Tronchin (1582-1657). Der Theologieprofesssor und Philosoph Marcus Rütimeyer (1580-1647), Pfarrer in Bern (Eintrag daselbst 1623). Der Philosophieprofessor und Rektor der Universität von Basel, Ludovicus Lucius (1577-1642). Der Theologe Johann Heinrich Alting (1583-1644), Dogmatikprofessor, Eintrag in Straßburg 1623, auf seinem Weg ins holländische Exil. Ebenfalls aus Straßburg der Eintrag des Philologen Matthias Bernegger (1582-1640), datiert 1624. Der Theologe Christian Chytraeus aus Mühlhausen (gestorben 1633), daselbst eingetragen 1625. Weiterhin der für sein Gartenbuch bekannte Daniel Rhagor (1577-1648), der Berner Professor für das Hebräische, David Berner, der Genfer Theologieprofessor Antonius Legerus und der Rechtsgelehrte Christian Taubmann (1597-1651), Eintrag in Basel 1628, dem Jahr seiner Promotion.

Auch Angehörige von adeligen Herrscherfamilien, Staatsmänner und Diplomaten finden sich reichlich, darunter: Friedrich Kasimir, Pfalzgraf von Pfalz-Landsberg (1585-1645), mit einem La paix est un don de dieu betitelten einstrophigen Gedicht, datiert 1624, im burgundischen Exil. Wilhelm Reinhard von Hanau-Münzenberg (1607-1630), ein nachgeborener Sohn des Grafen Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg, hat sich in Genf 1623 mit hübscher Wappenminiatur eingetragen. Die Grafen von Liss (Lesno) mit Titel "Palatinus Bellensis", Andreas Ludwig und Raphael, dieser mit Eintrag Basel 1626. Graf Johann Friedrich von Wolfstein (1604-1650) aus Ober-Sulzburg, Genf 1623. Unter den bedeutenden Diplomaten ragt Sir Thomas Roe (um 1581-1644) hervor; er wirkte von 1615-18 als erster Botschafter des englischen Königs am Mogulhof in Indien und hat sich dort insbesondere für den Ausbau des Ostindien-Handels eingesetzt. Sein Eintrag erfolgte im November 1628 in Basel, "denuo ad Portam Ottomanicam Legatus". Ebenfalls Josias Glaser (1588 – nach 1650), zur Zeit des Eintrags 1626 Sekretär des Fünfzehnerrates in Straßburg und französischer Diplomat, der 1639 ein Projekt zur Annexion des Elsasses an Frankreich entwickelt hat und Vertreter Frankreichs bei den Friedensverhandlungen in Münster gewesen ist. Der Bürgermeister von Zürich und Landvogt von Kyburg, Johann Heinrich Waser (1600-1669), hat sich in Zürich 1623 eingeschrieben, ferner Johannes Philippus Berthel, "Osthoviensis Palatinus", Johannes David von Botzheim (1571-1637), Straßburg 1626, David Morlot (1601-1648), Herr zu Münchenwiler, aus der bedeutenden Berner Patrizierfamilie Morlot, und mehrere Mitglieder der angesehenen Schaffhauser Bürgerfamilie Peyer (mit den Wecken).

Unter den Geistlichen findet sich der Eintrag des Valerius Heitzmann, ein französischer Pfarrer in Basel, der auch als Autor einer Abhandlung über die aristotelische Ethik in Erscheinung getreten ist. Sein Eintrag von 1634 mit Wappenminiatur. Tandem bona causa triumphat hat Jacob Victorian Leisler, ein calvinistischer Pfarrer, seinen Eintrag überschrieben. Er ist der Vater des Jacob Leisler (um 1640-1691), ab 1689 Anführer des als "Leisler’s Rebellion" bekannt gewordenen Aufstands im kolonialen New York, das er kurzzeitig auch regierte. Jacob Victorian hat sich in Genf im Jahr 1633 als theologischer Candidatus "Öttingensis" eingetragen. Die Miniaturen zeigen eine Landschaft mit emblemartiger Darstellung – eine Spinne seilt sich über einer eingerollten Schlange vor Landschaftskulisse ab – und den in voller Rüstung eines Ritters mit seinem Pferd ins Feuer springenden Marcus Curtius (wohl nach dem Kupferstich von Hendrick Goltzius aus dem Zyklus der "römischen Helden"; einige Seiten zuvor steht der Eintrag eines Johann Wilhelm Curtius aus Genf). Zudem hat sich ein späterer Besitzer des Albums, Ludwig Fischer, geboren 1801 in Neustadt (an der Haardt), an mehreren Stellen im frühen 19. Jahrhundert in dem Buch verewigt. Auf dem Vorsatz findet sich der Besitzvermerk eines G(eorg) D(avid) Fleck; dieser ist im mittleren 18. Jahrhundert als Theologe in Neustadt an der Haardt nachweisbar. Das Stammbuch befand sich demnach bis ins 19. Jahrhundert an Mülheusers Wirkungsort.

Gelenke alt restauriert, eine der Miniaturen mit alt hinterlegten Durchrissen, die andere etw. berieben; stellenw. fleckig und gebräunt.

Important album amicorum from the time of the Thirty Years‘ War. – Album of the theologian Georg David Mülheuser. With ca. 120 entries from Basle, Geneva, Lausanne, Strasbourg, Zurich and other places. Dated 1622-34. Oblong-12º. With 2 full-page miniatures and 6 armorial miniatures heightened in gold. 113 unnumbered leaves (and numerous blank ones). Contemporary calf richly gilt on sides and gilt back in the late fanfare style (clasp ribbons missing, spine and edges restored, rubbed and scuffed) in modern wooden case. – The most prominent contribution in this album, exceptionally rich in important entries, is by the satirist and poet Johann Michael Moscherosch (1601-1669). Moscherosch published his essays, poems and short stories in Latin and German usually under the pseudonym "Philander von Sittewald". The present contribution however was made under his real name indicating his birthplace Willstätt, dated Strasbourg 1624. – Among the many scholars who enriched this album amicorum, we can find an astonishing large number of prominent personalities of their time and the respective disciplines, besides theologians, mainly humanists and neo-Latin writers, but also physicians and lawyers. – There are also members of noble ruling families, statesmen and diplomats. – Joints restored in former times, one of the miniatures torn in two but backed in former times, the other one a little rubbed; soiled and browned here and there.