39: MAINZ – "DER ERINNERUNG GEWIDMET".

Sammlung von Gedichten für eine Anna (bzw. Nannette) Weber aus Mainz. Dat. 1831/32. 12º (16,8 x 10,2 cm). Mit gezeichnetem Portr. in Bleistift und 18 gezeichneten Vign. in verschiedenfarb. Tinten. 1 nn. Bl., 152 S. (ohne S. 123, 125, 129, 145 und 149), 15 nn. Bl. (davon 2 weiße). Gold – und blindgepr. Ldr. d. Zt. (leicht beschabt und bestoßen). (45)
Schätzpreis: 250,- €


Dokument einer verzweifelten Liebe aus dem Zeitalter der Romantik, ganz so, wie sie sich die Literaten dieser Epoche hätten einfallen lassen können. Ein junger Mann schenkt seiner Angebeteten ein Büchlein mit handgeschriebenen Gedichten über Liebe, Trennung, Erinnerung, Verlust und Tod, sehr bedachtvoll zusammengestellt aus Werken der berühmten Poeten seiner Zeit. Das Frontispiz ist sein Portrait – ursprünglich mit einem Blatt überdeckt, das von vier Wachssiegeln gehalten wurde; dazu zeichnet er wunderbar feine Vignetten als Buchschmuck.

Das erste der Gedichte stammt von ihm selbst ("Ach wie werd ich Dich vermissen / Nach der herben Trennungsstunde"), die Anfangsbuchstaben ergeben in einem Akrostichon, von oben nach unten gelesen, "Anna Weber". Und an einer weiteren Stelle erscheint der Name der Geliebten und sogar ihre Figur in der zugehörigen Vignette: In dem Gedicht "Die Betende" von Matthisson hat der Schreiber den eigentlichen Namen "Laura" in Anna verwandelt ("Anna betet! Engelharfen hallen"). Weiterhin finden sich die Gedichte und Balladen "Der Erlkönig", das "Lied von der Glocke", Bürgers "Leonore", zahlreiche Gedichte von Matthisson, darunter der "Geistertanz" mit wundervoller Vignette eines Totentanzes, ferner Verse von Theodor Körner, Uhland und anderen. Als nun die Empfängerin das Büchlein erhielt, war sie darüber offenbar so aufgewühlt, dass sie ihm am Ende noch weitere Texte hinzufügte, was an der flüchtigeren Schrift deutlich wird und an ihrer Signatur am Ende: "Mainz den 9/9 32 Nannette Weber", der Vorname hier in der französischen Koseform für Anna (oder auch Anna Maria). "Klärchens Lied", aus Goethes "Egmont", hier in einer Version mit sechs Strophen, von denen vier nicht von Goethe, sondern von C. L. Lasch stammen und eine wohl von der Schreiberin selbst. Hier endet die letzte Strophe bereits mit der Vorahnung des Todes "Glücklich die Seele, die sterbend noch liebt", dann noch mehrere eigene Vierzeiler, die nichts mehr mit Goethes Gedicht zu tun haben. An das Ende setzt Anna Weber dann einen der pessimistischsten Texte der deutschen Literatur, das Gedicht "Ausbruch der Verzweiflung" von August von Kotzebue, veröffentlicht 1791, ein einziger Zweifel an der menschlichen Existenz, Gott und der Welt. – Wer jetzt glaubt, Nannette Weber als jene berühmt gewordene Beleuchterin des Mainzer Stadttheaters identifizieren zu können: Diese Nanette Zündel, angeblich später verheiratete Weber, hieß in Wirklichkeit Werner, der "Mainzer Frauenkalender" (2012 S. 145) irrt an dieser Stelle. Vielleicht aber stammte die genannte Dame gar aus der Mainzer Familie Weber, aus der auch Mozarts Frau und der Onkel von Carl Maria von Weber stammen sollen, aber das bleibt Spekulation. Der junge Mann, der ihr das Buch geschenkt hat, war jedenfalls ein mehr als nur talentierter Zeichner. – Ein Bl. gegen Ende mit Ausriss (Textverlust); Gelenke gebrochen, Bindung gelockert, etw. gebräunt und fleckig.