36: "REISEBEMERKUNGEN

für Fr. Müller Buchbin(der) aus Laupheim 1830". Kopftitel am Textbeginn: "Meine Reise durch Deutschland". Deutsche Handschrift in verschied. Tinten auf Bütten. Dat. 24. 8. 1830 – 9. Juni 1831 (abgeschlossen wohl erst im Sommer 1832). 14,5 x 9,3 cm. Mit mont. lithogr. Tafel. Blindgepr. Ldr. d. Zt. (wohl Laupheim, 1830) mit Deckellasche und 2 ausfaltbaren Deckeltaschen (stärker beschabt und bestoßen). (15)
Startpreis: 550 - 800,- €
regelbesteuert 19% MwSt.


Bericht von einer großen, wohl etwa zweijährigen Rundreise durch das deutschsprachige Mitteleuropa und darüber hinaus, beginnend in Südwestdeutschland, zuerst nach Osten, über Österreich (bis Wien) und Böhmen (über Prag) in das mittlere und östliche Deutschland (Sachsen und Preußen), danach in nordwestlicher Richtung über Holstein bis in die Niederlande (bis Rotterdam, dann den Rhein aufwärts bis Württemberg und über Basel in die nördliche Schweiz, schließlich um den Bodensee zurück nach Oberschwaben, wo der Reisende, dessen Namen wir nicht erfahren, seinen Wohnort hatte.

Der Schreiber war wohl ein Handwerker, vielleicht ein Geselle auf der Walz, jedenfalls kein Gelehrter, was schon die einfache und teils fehlerbehaftete Sprache erweist. Er ist sehr religiös, vertraut sich am Anfang Gott an, der schon für ihn sorgen werde. Außerdem bittet er ihn um Schutz für seine Eltern, was auf einen jungen Mann hindeutet, der das Elternhaus verlässt.

Bei dem Widmungsträger handelt sich um den in Laupheim (bei Ulm) ansässigen Buchbinder Franz Seraph Müller (1812-1872), der dort später auch Schultheiß gewesen ist. Im Reisejahr 1830 war Müller jedoch erst 18 Jahre alt, er könnte ein Freund oder vielleicht sogar der Bruder des Reisenden gewesen sein. In jedem Fall dürfte aus der Buchbinderei Müller der Einband stammen, der mit seinen zwei ausfaltbaren Deckeltaschen, ausgekleidet mit Buntpapier, und der Deckelblindprägung eine solide Arbeit ist.

Am Anfang der Reise sind die Daten zu den einzelnen Stationen noch sehr regelmäßig eingetragen, später verliert sich dies. Der letzte Eintrag erfolgte am 9. Juni 1831 in Meißen. Zu diesem Zeitpunkt war etwa die Hälfte der Reise absolviert, ihr Ende wird wohl mindestens ein Jahr später, im Sommer 1832 anzusetzen sein. Die Eintragungen, anfänglich noch persönlich geprägt, gehen später in den Stil eines Reiseführers über und sind meist recht knapp.

Die Abreise (wohl aus Laupheim) erfolgte am 24. August 1830, am 29. erreichte der Schreiber Augsburg, wo er sich bis Jahresende aufhielt. Hier beschreibt er einige Gebäude, darunter die neuerbaute Börse. Begeistert ist er von der bei Cotta in Augsburg für den Zeitungsdruck eingerichteten „Schnellpresse“, die als „Meisterwerk unseres Zeitalters“ zu sehen sei. Mehrere Seiten sind dieser Druckmaschine und ihrer Arbeitsweise gewidmet. Erwähnt wird dabei auch Carl Reichenbach als Mechaniker; dieser wurde später Direktor der „C. Reichenbach’schen Maschinenfabrik“ in Augsburg, Vorläufer der M.A.N. In Augsburg erlebte unser Reisender ferner den Trauergottesdienst im Dom für Papst Pius VIII. (gestorben 30. 11. 1830) und sah in einem Theater ein Stück von Kotzebue („Theater-Notizen“, über eine Aufführung des Dramas „Die Kreuzfahrer“, 9. 1. 1831). In der Stadt hat er auch einen kleinen Plan „Labyrinth von Creta“ bekommen und diesen am Ende in den Band eingeklebt. Es handelt sich um eine lithografierte Tafel aus dem dritten Band der neuen Folge der bei Cotta 1830 erschienenen „Allgemeinen politischen Annalen“ (zu S. 200, siehe Fischer, Cotta, Nr. 2032). Dieser Plan wurde offenbar zu der Zeit in Augsburg auch separat verkauft, und zwar anlässlich einer Ausstellung: „In einem Kunstsaale dieser Stadt ist das merkwürdige Labyrith von Greta (sic!) nach dem beygesetzten Grundriße und nach folgender Erklärung zu sehen: …“

Nach München reist er erst Mitte April 1831 weiter (19. 4. 1831), schreibt aber schon zuvor über den spektakulären Selbstmord des Kaufmannssohnes Dela Bona und seiner Geliebten (22. Januar 1831). Der Abschnitt zu München fällt recht ausführlich aus, u. a. über die Glyptothek und das Schloss Nymphenburg. Am Tag darauf ist er bereits in Wasserburg, Salzburg erreicht er am 8. Mai, dann verlieren sich die Daten allmählich, es folgen, teils wohl sehr schnell aufeinander, Wien, Prag, Teplitz (7. Juni), Dresden, Meißen (9. Juni), Leipzig, Potsdam, Wittenberg, Berlin (mit größerem Abschnitt, einige Seiten alleine über das Mineralien – und Naturalienkabinett). Darauf Stettin, Stralsund, Rostock, Wismar, Schwerin, Ratzeburg, Lübeck, Hamburg, Bremen, dann Holland mit Zwolle, Amsterdam und Rotterdam, darauf die Rheinlande mit Cleve, Düsseldorf, Köln, Bonn, dem Drachenfels, Rolandseck, Nonnenwerth, Andernach, Koblenz, Ems, Frankfurt a. M., Hanau, Aschaffenburg, Mannheim, Heidelberg, Schwetzingen, Speyer, Karlsruhe, Durlach, Straßburg und Freiburg i. Br.; in der Schweiz geht es über Basel, Solothurn, Bern, Luzern, Küsnacht, Zürich, Winterthur, Schaffhausen, Konstanz nach St. Gallen, schließlich zurück nach Süddeutschland. Stuttgart und Cannstatt sind die letzten Stationen, dann endet das Reisetagebuch in der Gegend bei Kloster Lorch, bei der Barbarossa-Linde. – Leicht fleckig und gebräunt.