68: ALBUM AMICORUM – FREUNDSCHAFTSALBUM

der Daphné von Windt (d. i. Heidi Windt). Mit ca. 80 Einträgen, die meisten davon Musiker, Komponisten, Sänger, Schauspieler und Regisseure, viele mit Notenzitaten. Dat. München u. a., 1954-71. 4º (23,8 x 19 cm). Mit 30 tls. eingeklebten, tls. lose beiliegenden Portrait-Fotografien (die größte von der Eignerin, 23,9 x 17,8 cm). 65 nn. Bl. (und einige weiße), einige gedruckte Artikel inliegend. Rotes Ldr. d. Zt. (leicht berieben und bestoßen). (31)
Schätzpreis: 900,- €
regelbesteuert 19% MwSt.


Die Dirigentin Heidi Windt, Tochter des Baseler Inhabers einer Musikschule, Professors und Komponisten Alfred Windt (1884-1951), hat den Höhepunkt ihrer musikalischen Karriere in einer Zeit erreicht, in der eine Frau in diesem Beruf noch eine ganz große Ausnahme und daher per se aufsehenerregend war, in den späten 1950er und in den 1960er Jahren. Sie war nach eigener Darstellung ein Wunderkind und schaffte es 1951, ohne je eine Ausbildung in dieser Richtung erhalten zu haben, eine Auszeichnung auf dem Dirigentenwettbewerb in Besançon zu erhalten. Danach bestand sie die Aufnahmeprüfung für das Mozarteum in Salzburg, studierte dort bis 1953 und war dann an der Bayerischen Staatsoper in München tätig.

1954 gründete sie den "Internationalen Erstaufführungskreis für zeitgenössische Musik" in München und legte vorliegendes Gästebuch an (mit handschriftlichem Titel). Erste Einträgerin im Oktober 1954 war nicht zufällig die französische Cellistin Elisa-Isolde Clerc. Clerc, die zwei Einträge gemacht hat, die Leiterin der Genfer Konzertreihe "Centre de premières auditions de Genève". Gegründet 1950, war diese das Vorbild für die Münchener Konzertreihe, hatte allerdings wesentlich länger als der Münchener Versuch Bestand. Weiterhin der Gründung Pate stand ein Herr Wahl vom Bayerischen Volksbildungsverband. Am 8./9. Oktober 1954 fand das erste Konzert statt, unter anderem mit den Hesse-Liedern von Anton Würz. Die letzten Einträge in das Album aus diesem Kontext stammen von 1957, dann erfolgt ein Sprung in das Jahr 1964. Ab dieser Zeit sind die Einträger hauptsächlich Opernsänger oder andere Kollegen der Aufführungen von Bühnenwerken, die sie leitete, darunter die Operette "Das Dreimäderlhaus" mit einigen der Sänger. Aus Heidi ist mittlerweile (wohl um 1960) "Daphné von Windt" geworden, die Namensänderung erfolgte sicherlich zu Beginn der Karriere als Dirigentin.

Im Jahre 1971 brechen die Einträge ab, obwohl das Buch noch einige leere Seiten aufweist. Auch sonst hört man nichts mehr von der Dirigentin, die in den 1960er Jahren in Presseartikeln viel Anerkennung für ihre Aufführungen erhalten hatte, allerdings immer nur als Gastdirigentin verschiedener Opernhäuser, unter anderem am Stadttheater Baden. Um 1967 muss sie nach Wien gezogen sein, um dort als Kapellmeisterin und Korrepetitorin zu arbeiten, dann verliert sich ihre Spur. Auch als Komponistin groß angelegter Werke war Windt tätig und wurde ebenfalls dafür gefeiert, nachweisbar ist davon heute nichts mehr.

Für die Münchener Musikgeschichte der Nachkriegszeit ist der "Erstaufführungs-Kreis zeitgenössischer Musik" bedeutend geblieben, der teils hochkarätige internationale Künstler nach München zog, um hier bislang nicht aufgeführte Werke der Moderne dem Publikum vorzustellen, auch wenn er offenbar nur drei Jahre bis 1957 Bestand hatte. Die Konzerte fanden (meist) im Wirtschaftsministerium statt.

Eingetragen haben sich, gewöhnlich anlässlich von Konzerten, György Rétyi-Gazda (Konzertmeister des Bayerischen Radio-Symphonieorchesters), die Mitglieder des Raba-Trios, letztere mit zwei Notenzitaten aus Klaviertrios Martinu und Schostakowitsch, und Hans Posegga (1917-2002), der sich für die Aufführung seiner Violinsonate bedankt; so auch der Komponist Anton Würz (1903-1995) für die "schöne Aufführung meiner Hesse-Lieder" (Sechs Hermann-Hesse-Lieder op. 36). Im Jahr 1955 finden sich u. a. Einträge des Orff-Schüler Rochus Gebhardt (1922-2014) und des Komponisten Hermann Gschwendtner (geb. 1928), des Schweizer Violinisten Ulrich Lehmann (1928-2009), mit Notenzitat, den Mitgliedern des Endres-Quartetts, 1957 des Pianisten Hans Altmann (1904-1961), mit Notenzitat aus seiner Sonate für Fagott und Klavier B-Dur op. 39, des Komponisten Leopold van der Pals (1884-1966), der sich für die Aufführung seiner Lieder erkenntlich zeigt (mit Notenzitat), ebenso Hans Wolfgang Sachse (1899-1982) für seine Conrad-Ferdinand-Meyer-Gesänge, aufgeführt von Max Hartmann und Hans Altmann (mit Notenzitat), Hartmann hat darunter zudem signiert. Weiterhin 1957 die Altistin Gertraud Engelmann, der Münchener Komponist Joachim Faber (1913-1986), der Windt als seine Vorgesetzte bezeichnet, dann der bedeutende französische Komponist Charles Chaix (1885-1973) mit halbseitigem Eintrag, Genf 20. 6. 1957, und zwei Notenzitaten (interessant, was dieser zu den guten Wünschen schreibt, die sich Künstler gegenseitig geben sollten), nochmals Hans Sachse. Neben der Musik gab es auch Lesungen, darunter die "Heilige Nacht" von Thoma 1957.

Aus der Zeit ab 1964 finden sich Einträge unter anderem von dem Schauspieler Erich Kleiber (1929-1985), dem Schauspieler und Regisseur Charles Regnier (1914-2001), Gisela Rening (1925-2004), Schauspielerin und Opernsängerin, sowie deren Mann Günther Scherzer, der österreichischen Ballett-Tänzerin, Schauspielerin und Sängerin Lydia Weiss (geb. 1939), Harry Tagore (geb. 1926), Schauspieler und Sänger, der Opernsängerin Anna Moffo (1932-2006) und dem italienischen Pianisten und Komponisten Bruno Canino (geb. 1935). – Der große Fotoabzug zeigt Windt wohl um 1960 beim Dirigieren, zwei weitere kleine Fotoabzüge dürften später entstanden sein. – Das Album ist nicht nur ein übliches Freundschaftsalbum, sondern von musikhistorischer Bedeutung. Wahrscheinlich ist es die wichtigste noch existierende Quelle zum Wirken der Dirigentin und des weitgehend unbekannt gebliebenen "Erstaufführungskreises" in München. – Gering gebräunt und fleckig.