Franz Lehárs weltberühmte Operette geht im Kern ihrer Handlung auf eine wahre Geschichte aus der eigenen Familie seines Librettisten zurück: eine Affäre der Gattin von Viktor Léon, Ottilie, mit dem chinesischen Prinzen Sukong. Die eigentliche Idee zur Handlung der Operette stammte jedoch, so berichtet es zumindest Léons Enkel, der Regisseur Franz Marischka, (in seinen Memoiren "Immer nur lächeln", Wien, München 2001) von der Tochter Léons Felicitas (genannt "Lizzi" – 1887-1918). Diese hatte in einem Buch den Satz gelesen: "Sie liebte ihn, weil er anders war als alle anderen" und machte daraus die Geschichte von einer Wiener Komtess, die sich in einen indischen Maharadscha verliebt, diesem in sein Land folgt und sich dann enttäuscht von ihm abwendet, weil dort ja alle so aussehen wie er. Dem Maharadscha aber bricht das Herz. Etwa zu derselben Zeit, um 1913, verkehrte im Hause Léon ein chinesischer Prinz namens Sukong, der als Verbindungsoffizier ("Liaison-Officier" – wie passend) in Wien stationiert war. Er erhielt um 1913 eine Ausbildung an der Militärakademie in Wiener Neustadt und hatte sich, unter Duldung Victor Léons, in Ottilie "schrecklich verliebt". Die Gefühle fanden auch Erwiderung. Unterdessen hatte Ottilies Tochter Lizzi bereits das Manuskript mit der Idee zu der Operettenhandlung formuliert und an ihren Vater gegen Zusicherung von 10 % der Tantiemen abgetreten. Der reale Prinz diente Léon als Berichterstatter über die Sitten, Gebräuche und Zeremonien in China; daher wurde die Handlung nach China verlegt, und der Operettenprinz bekam den Namen "Sou-Chong". In dieser Fassung trug das Werk den Titel "Die gelbe Jacke" und wurde 1923 uraufgeführt, allerdings ohne großen Erfolg. Erst in der Neufassung von 1928, umgearbeitet für den Tenor Richard Tauber durch Fritz Löhner-Beda und Ludwig Herzer, wurde die Operette nun unter dem Titel "Das Land des Lächelns" zum Welterfolg. Während in der "gelben Jacke" der Prinz nicht gewillt war, der Liebe zu entsagen und seine Lisa heiratet, endet das Stück nun mit der, den sittlichen Vorstellungen gemäßeren Trennung der Liebenden.
Als Zeugnisse der realen Geschichte, die auch nicht glücklich ausging, sind drei eigenhändig abgefasste Liebesbriefe des Prinzen, der mit vollem Namen Shen Chen Ling von Sukong hieß und fließend deutsch sprach, an Ottilie ("Otta") Léon erhalten. Nur einer davon, vom 1. Mai 1914, ist bislang publiziert, in der Autobiografie Marischkas (S. 79), und von der Forschung ausgewertet. Diesen Brief bieten wir hier an (1), neben zwei weiteren, bisher unbekannten:
1. Porträtkarte des Ateliers Max Jäger in Krems mit hochovaler Fotografie (Heliogravüre, Brustbild nach links) des Prinzen in Uniform (12,6 x 9 cm), datiert Krems a. D., 1. 5. 1914, 25,5 x 16,7 cm, mit Unterschrift "Sukong, Leutnant d. Republik China zugeteilt d. K. u. K. Inf. Regmt. Nr. 84 Freiherr von Bolfras". Eine Seite (der Text komplett bei Marischka, im unteren Teil als achtzeiliges Liebesgedicht).
2. Portraitkarte des Ateliers Max Jäger in Krems mit Fotografie (Heliogravüre, Ganzfigur stehend, nach links) des Prinzen in Uniform (14,5 x 8,4 cm), datiert Krems a. D., 1914, 25,5 x 17 cm, mit Unterschrift "Sukong" und ca. 1/3 Seite Text: "Die Hoffnung auf Genuss ist fast so süss, als schon die erfüllte Hoffnung, zur innigsten Erinnerung an die goldne Zeit an meine geliebte Otta". – Wohl zum Abschied im Spätsommer 1914 geschrieben.
3. Brief mit Unterschrift "ShenChenLing". Nicht datiert (wohl Winter/Frühjahr 1915). 20,3 x 12,5 cm. Gefaltet, in kleinem unbeschädigten und adressiertem Kuvert. Vier Seiten Text. – Der letzte, inhaltlich aufschlussreichste Brief wurde während der Schiffsreise mit der "SS Manchuria" auf Papier der Pacific Mail Steamship Company abgefasst. Er ist nicht datiert, dürfte aber vom Anfang des Jahres 1915 stammen, da Shen schreibt, er habe Weihnachten und Neujahr auf dem Schiff verbracht. Das Schiff wiederum wurde von der Pacific Mail Steamship Company im Herbst 1915 an die International Mercantile Marine Company verkauft. Die Absenderadresse lautet: "From Mr. Shen Chen Ling Shanghai, China, 17 Haskell Road" (wohl eine Militärunterkunft während eines kurzzeitigen Landaufenthalts). Wie Shen schreibt, käme er nun mit jedem Tag seinen Eltern näher, die er sieben Jahre nicht gesehen hatte. Damit lässt sich sein Europa-Aufenthalt umreissen: Er muss China etwa im Jahr 1907 verlassen haben, wurde um 1910 in die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt aufgenommen, die er, sicherlich nach den üblichen drei Jahren Ausbildungszeit, im Oktober 1913 beendete. Daraufin wurde er Leutnant im Infanterie-Regiment 84 "Freiherr von Bolfras" in Krems, in dem etwa drei Prozent Ausländer Dienst taten. Dieses wird er mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Spätsommer 1914 (unfreiwillig) quittiert haben. Dann begab er sich auf die Heimreise, die nach Westen durch Italien, Amerika und Japan führte. Er habe Ottilie immer Ansichtskarten geschickt (nicht erhalten). Nun habe er bereits "vierzig Tage Eisenbahn – und Schifffahrt" hinter sich. Ottilie könne sich "ungefähr denken wie entsetzlich [dies] für einen, der bereits ein completter Wiener[!] ist" sei. Sein letzter Wunsch ist bezeichnend: "Wenn Sie mir schöne Romane und moderne Operetten samt Text nach China schicken, werde [ich] Ihnen sehr sehr dankbar sein." – Quasi ein Märchenprinz, der selbst die Märchen liebt. – Aus dem Nachlass von Franz Marischka. – Zur bisherigen Forschungslage siehe Barbara Denscher, Der Operettenlibrettist Victor Léon, Bielefeld 2017 (S. 410f.). – Die Portr.-Karten auf festem Karton, unter Passepartouts mont.; gering gebräunt, minimale Gebrauchsspuren. – Zu Lehár siehe auch unser Los 786.
The true story behind Léon’s libretto. – An autograph letter and 2 autographe photo-portrait cards by the Chinese Prince Sukung, who served as the model for the protagonist of the operetta `The Land of Smiles‘ by F. Lehár. All signed and dated Krems and Shanghai 1914(-15). The plot of Franz Lehár’s world-famous operetta is based on a true story from the family of his librettist: an affair between Viktor Léon’s wife Ottilie and the Chinese prince Sukong. However, the actual idea for the plot of the operetta came from Léon’s daughter Felicitas. She had read in a book `she loved him because he was different from all the others‘ and made a story out of it about a Viennese countess who falls in love with an Indian maharaja. At around the same time, in 1913, a Chinese prince named Sukong, who was stationed in Vienna as a liaison officer, was a guest at the Léon home. He had, with the connivance of Victor Léon, fallen `terribly in love‘ with Ottilie. The real prince served Léon, who wrote the operetta manuscript of his daughter, as a reporter on the customs, traditions and ceremonies in China; therefore, the action was moved to China and the operetta prince was given the name Sou-Chong. In this version, the work was given the title `The Yellow Jacket‘ and premiered in 1923. It was only the 1928 reworking under the title `The Land of Smiles‘ that became a worldwide success. As a testimony to the real story, which did not end happily either, three pieces of correspondence from the prince, whose real name was Shen Chen Ling von Sukong and who spoke German fluently, have been preserved to Ottilie Léon. Only one of them, the portrait card dated 14 May 1914, has been published and evaluated by researchers so far; and is being offered here. The lot contains: I. Portrait-card by the photo studio Jäger in Krems of the Prince. With a manuscript message above and below the portrait, signed "Sukong, Leutnant d. Republik China", dated Krems 1. May 1914. The text with an eight-line love poem that has been completely published in the autobiography of Franz Marischka, son of Felicitas Léon. II. Portrait-card by the studio Jäger in Krems of the Prince. With several lines of a handwritten tender text below the portrait. Signed "Sukong" dated 1914. Probably written as a farewell in late summer 1914. III. Autograph letter signed "ShenChenLing", undated (possibly winter/spring of 1915). 4 pages, folded in orig. envelope. The last text with the most revealing content was written during the voyage on the SS Manchuria on paper from the Pacific Mail Steamship Company. It is not dated, but it may have been written at the beginning of 1915, since Shen writes that he spent Christmas and New Year on the ship. The ship was sold by the PMSC to the International Mercantile Marine Company in autumn of 1915. The return address reads: `Mr Shen Chen Ling Shanghai, China, 17 Haskell Road‘ (probably a accommodation during a short stay on land). As Shen writes, he is now getting closer to his parents every day, whom he has not seen for seven years. This summarises his stay in Europe: he must have left China around 1907 and was accepted around 1910 at the Theresian Military Academy in Vienna, which he completed in October 1913. He then became a lieutenant in the 84th Infantry Regiment `Freiherr von Bolfras‘ in Krems, before setting out on his journey home at the end of 1914. He writes that now he had already `40 days of rail and shipping‘ behind him. Ottilie could `imagine how terrible this is for someone who is already a complete Viennese.‘ `If you send me beautiful novels and modern operettas, complete with texts, to China, I will be very grateful to you‘ – a kind of fairy-tale prince who loves fairy tales himself. – The cards under passe-partout. – From the estate of Franz Marischka.