Zirkus- und Varietéankündigungen

„Es fällt auf, dass hinsichtlich einer Hierarchie der Künste Aufführungen einer Künstler-Gesellschaft in der Manege und Inszenierungen auf der Bühne des königlichen Hoftheaters von der Presse als ebenbürtig angesehen wurden.“

(Helmut Bauer, Non plus ultra! Circus-Kunst München. Ausstellung des Münchner Stadtmuseums vom 30. Oktober 2009 bis 21. März 2010, S. 162).

Daß im 19. Jahrhundert zwischen den verschiedenen Medien der Unterhaltung und Belehrung der Massen keine grundsätzliche Kluft bestand, zeigt sich auch in unseren etwa 50 Bänden mit zusammen mehr als 4000 Ankündigungszetteln, Programmzetteln und Plakaten von Kunstreitern, Artisten, Zirkusgesellschaften und Schaustellern. Zwar bilden die Gastspiele einzelner Gesellschaften das Hauptkriterium der Ordnung, dennoch sind in den großformatigen Papp- und Halbleinwandbroschuren vielfach Theater- oder Konzertzettel mit eingebunden.

Zeitlich umspannt die Sammlung nahezu das gesamte 19. Jahrhundert, so daß die Entwicklung des Zirkuswesens von den Vorführungen der Kunstreiter und Pferdedressuren zu großen Zirkusgesellschaften mit reichhaltigem Programm bis hin zum Varieté und von den Auftritten auf offener Straße über Schaubuden aus Holz bis hin zu den transportablen Zirkuszelten deutlich wird. Geographisch liegt der Schwerpunkt eindeutig auf München. Von großer Bedeutung für die Stadtgeschichte sind insbesondere über 600 Zettel aus dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts. Neben anderen bayerischen Städten (Augsburg, Nürnberg, Regensburg und Würzburg) sind darüber hinaus Zettel aus Frankfurt, Hanau, Wiesbaden, Mainz, Köln, Leipzig und Hamburg sowie einige Plakate aus Wien und Amsterdam vertreten. Ein eigener Band ist den italienischen Zetteln mit Ankündigungen des berühmten Kunstreiters Alessandro Guerra gewidmet, und auch die Gastspiele der amerikanischen Zirkusgesellschaften Belling, Myers und Merkel in München sind in eigenen Bänden dokumentiert.

Eindrucksvoll führen die Zettel und Plakate in Wort und Bild die größeren und kleineren Attraktionen und Sensationen vor Augen. Zwischen zahlreichen berühmten Namen von Carré bis Wulff finden sich auch unbekannte, in der Literatur kaum nachweisbare Gesellschaften wie der „Circus en miniature“ von Franz Liphard. Eine reiche Fundgrube bietet das Material zweifellos auch als Quelle zu den Karrierestationen einzelner Künstler. Angekündigt werden Artisten von internationalem Rang wie die Hochseilartisten Blondin und Wainratta oder der als „Kanonenkönig“ bekannte Kraftartist Holtum ebenso wie lokale Größen, etwa der Steyrer Hans. In großer Bandbreite enthält die Sammlung auch Werbezettel von Menagerien, Panoramen, Wachsfigurenkabinetten, Zurschaustellungen von „Naturwundern“ und exotischen Völkern, mechanischen Theatern und Zauberkünstlern.

Ablesbar ist anhand unseres reichen Materials auch die Entwicklung von den Ankündigungszetteln in der Tradition von Einblattdrucken und Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts bis hin zu großformatigen modernen Plakaten. Bis etwa zur Jahrhundertmitte bestehen die Zettel aus kräftigem Hadernpapier, geeignet zum Anschlagen an Bretterbuden oder Hauswänden. Oft sind die großen Holzschnitt-Illustrationen separat gedruckt, so daß sie mit den verschiedenen typographischen Plakaten kombiniert werden konnten. Die Druckstöcke, die jede Gesellschaft von Stadt zu Stadt mit sich führte und dort dem lokalen Drucker übergab, weisen oft sichtliche Abnutzungserscheinungen oder gar Bruchstellen auf. Mit dem Aufkommen der Litfaßsäulen in der zweiten Jahrhunderthälfte wandelt sich auch das Erscheinungsbild der Zettel. Sie werden nun auf dünnem, aber reißfestem und zum Ankleben mit Kleister geeignetem Papier gedruckt, häufig nicht mehr auf Weiß, sondern in zartem Gelb, Blau, Grün oder Rosé. Auch erreichen die nun manchmal aus mehreren Teilen zusammengesetzten Plakate beachtliche Ausmaße.

Charakteristisch für die Zirkus- und Schaustellerzettel ist eine dekorative graphische Gestaltung, oft mit Handhinweisen, wie sie uns aus mittelalterlichen Handschriften und Inkunabeln bekannt sind, sowie einer bunten Vielfalt verschiedener Schriftarten und -größen. Dabei gelingt es einigen Gesellschaften bereits, ein typisches Design mit Wiedererkennungswert im Sinne eines Markenzeichens zu entwickeln. Vereinzelt kommt auch die kostspieligere Lithographietechnik zum Einsatz. Bis heute entfalten die plakativen Illustrationen der artistischen Kunststücke und zur Schau gestellten Attraktionen ihre Anziehungskraft.

Beachtlich ist aber nicht nur der Umfang der Sammlung, vielmehr ist der sorgfältigen Verwahrung schon bald nach dem aktuellen Anlaß der außergewöhnlich gute Erhaltungszustand zu verdanken. Zwar mußten viele Zettel für die Bindung gefaltet und beschnitten werden, doch weisen sie meist bis auf kleine Einrisse und einzelne Flecken kaum Beschädigungen auf.

Und nun: Manege frei für eine historische Zirkusrevue in 24 Nummern.

>> hier direkt zu den Losnummern 17 -40